Eduard
Mörike (1804 - 1875 Stuttgart)
Septembermorgen
Im
Nebel ruhet noch die Welt,
Noch
träumen Wald und Wiesen:
Bald
siehst du, wenn der Schleier fällt,
Den
blauen Himmel unverstellt,
Herbstkräftig
die gedämpfte Welt
in
warmem Golde fließen.
Barthold
Heinrich Brockes (1680-1747)
Arioso
(veröffentlicht 1738)
Bleiche Blätter, bunte Büsche,
Gelbe Stauden, röthlichs Rohr,
Euer flüsterndes Gezische
Kommt mir wie ein Sterb-Lied vor.
Aber da ihr, wenn ihr sterbet,
(Wie in einer hellen Gluth
Ein verlöschend Fünckchen thut)
Euch am allerschönsten färbet;
Wird, durch euer buntes Kleid,
Nicht nur Aug' und Hertz erfreut,
Und zu Gottes Ruhm geführet,
Sondern, auf besond're Weise,
Durch so holden Schmuck gerühret,
Wünscht mein Hertz, nicht minder schön,
Zu des Allerhöchsten Preise,
Wann ich sterbe, zu vergehn!
(Gegenüber
der Druckfassung von 1738 wurde die Schreibweise der Umlaute geändert.)
Arioso
(ital.): arienähnlicher,
kurzer Gesang, zuweilen in deklamatorischer Art;
hier:
Teil einer Wort-Kantate mit dem Titel
"Herbst"
Friedrich
Hölderlin
(1770 - 1843)
Hälfte
des Lebens
Mit
gelben Birnen hänget
Und
voll mit wilden Rosen
Das
Land in den See,
Ihr
holden Schwäne,
Und
trunken von Küssen
Tunkt
ihr das Haupt
Ins
heilignüchterne Wasser.
Weh
mir, wo nehm ich, wenn
Es
Winter ist, die Blumen, und wo
Den
Sonnenschein
und
Schatten der Erde?
Die
Mauern stehn
Sprachlos
und kalt, im Winde
Klirren
die Fahnen.
FRIEDRICH
HEBBEL
Herbstbild
Dies
ist ein Herbsttag, wie ich keinen sah!
Die Luft ist still, als atmete man kaum,
Und
dennoch fallen raschelnd, fern und nah,
Die schönsten Früchte ab von jedem Baum.
O
stört sie nicht, die Feier der Natur!
Dies ist die Lese, die sie selber hält,
Denn
heute löst sich von den Zweigen nur,
Was vor dem milden Strahl der Sonne fällt
Rainer
Maria Rilke (1875-1926)
Herbst
(Entstehungszeit:
1902)
Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
Als
welkten in den Himmeln ferne Gärten;
Sie
fallen mit verneinender Gebärde.
Und in den Nächten fällt die schwere Erde
Aus
allen Sternen in die Einsamkeit.
Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und
sieh dir andre an: es ist in allen.
Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
Unendlich sanft in seinen Händen hält.
Rainer
Maria Rilke (1875-1926)
Spätherbst
in Venedig (Entstehungszeit
1907)
Nun
treibt die Stadt schon nicht mehr wie ein Köder,
der
alle aufgetauchten Tage fängt.
Die
gläsernen Paläste klingen spröder
an
deinen Blick. Und aus den Gärten hängt
der
Sommer wie ein Haufen Marionetten
kopfüber,
müde, umgebracht.
Aber
vom Grund aus alten Waldskeletten
steigt
Willen auf: als sollte über Nacht
der
General des Meeres die Galeeren
verdoppeln
in dem wachen Arsenal,
um
schon die nächste Morgenluft zu teeren
mit
einer Flotte, welche ruderschlagend
sich
drängt und jäh, mit allen Flaggen tagend,
den
großen Wind hat, strahlend und fatal.
Rainer
Maria Rilke
(1875-1926)
Herbsttag
Herr:
es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg
deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und
auf den Fluren lass die Winde los.
Befiehl
den letzten Früchten voll zu sein;
gib
ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge
sie zur Vollendung hin und jage
die
letzte Süße in den schweren Wein.
Wer
jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer
jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird
wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und
wird in den Alleen hin und her
unruhig
wandern, wenn die Blätter treiben.
GEORG
TRAKL (1887
- 1914)
Verklärter
Herbst
Gewaltig
endet so das Jahr
Mit
goldnem Wein und Frucht der Gärten.
Rund
schweigen Wälder wunderbar
Und
sind des Einsamen Gefährten.
Da
sagt der Landmann: Es ist gut.
Ihr
Abendglocken lang und leise
Gebt
noch zum Ende frohen Mut.
Ein
Vogelzug grüßt auf der Reise.
Es
ist der Liebe milde Zeit.
Im
Kahn den blauen Fluss hinunter
Wie
schön sich Bild an Bildchen reiht -
Das
geht in Ruh und Schweigen unter.
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Georg
Trakl (1887 - 1914)
Der
Herbst des Einsamen
(entstanden
wahrscheinlich 1913; veröffentlicht posthum 1915)
Der
dunkle Herbst tritt ein voll Frucht und Fülle,
Vergilbter
Glanz von schönen Sommertagen.
Ein
reines Blau tritt aus verfallener Hülle;
Der
Flug der Vögel tönt von alten Sagen.
Gekeltert
ist der Wein, die milde Stille
Erfüllt
von leiser Antwort dunkler Fragen.
Und
hier und dort ein Kreuz auf ödem Hügel;
Im
roten Wald verliert sich eine Herde.
Die
Wolke wandert übern Weiherspiegel;
Es
ruht des Landsmanns ruhige Geberde.
Sehr
leise rührt des Abends blauer Flügel
Ein
Dach von dürrem Stroh, die schwarze Erde.
Bald
nisten Sterne in des Müden Brauen;
In
kühle Stuben kehrt ein still Bescheiden
Und
Engel treten leise aus den blauen
Augen
der Liebenden, die sanfter leiden.
Es
rauscht das Rohr; anfällt ein knöchern Grauen,
Wenn
schwarz der Tau tropft von den kahlen Weiden.
Stefan
George
Komm
in den totgesagten Park
Komm
in den totgesagten Park und schau:
Der
schimmer ferner lächelnder gestade*
Der
reinen wolken unverhofftes blau
Erhellt
die weiher und die bunten pfade.
Dort
nimm das tiefe gelb* das weiche grau
von
birken und von buchs* der wind ist lau*
Die
späten rosten welkten noch nicht ganz*
Erlese
küsse sie und flicht den kranz*
Vergiss
auch diese letzten astern nicht*
Den
purpur um die ranken wilder reben*
Und
auch was übrig blieb vom grünen leben
Verwinde
leicht im herbstlichen gesicht.
[Anmerkung:
Das *-Zeichen ist im Original ein
auf
Mitte der Zeile hochgestellter Punkt (ASCII-Code 249);
Bitte
bei der Formatierung ersetzen.]
Stefan
George (1868-1933)
Wir
schreiten auf und ab im reichen flitter
Wir schreiten auf und ab im reichen flitter
Des buchenganges beinah bis zum tore
Und sehen aussen in dem feld vom gitter
Den mandelbaum zum zweitenmal im flore.
Wir suchen nach den schattenfreien bänken
Dort wo uns niemals fremde stimmen scheuchten
In träume unsre arme sich verschränken
Wir laben uns am langen milden leuchten.
Wir fühlen dankbar wie zu leisem brausen
Von wipfeln strahlenspuren auf uns tropfen
Und blicken nur und horchen wenn in pausen
Die reifen früchte auf den boden klopfen.
Gottfried
Benn
Einsamer
nie -
Einsamer
nie als im August:
Erfüllungsstunde
- im Gelände
die
roten und die goldenen Brände
doch
wo ist deiner Gärten Lust?
Die
Seen hell, die Himmel weich,
die
Äcker rein und glänzen leise,
doch
wo sind Sieg und Siegsbeweise
aus
dem von dir vertretenen Reich?
Wo
alles sich durch Glück beweist
und
tauscht den Blick und tauscht die Ringe
im
Weingeruch, im Rausch der Dinge -
dienst
du dem Gegenglück, dem Geist.
Gottfried
Benn
ASTERN
Astern
-, schwellende Tage,
Alte
Beschwörung, Bann,
Die
Götter halten die Waage
Eine
zögernde Stunde an.
Noch
einmal die goldenen Herden
Der
Himmel, das Licht, der Flor,
Was
brütet das alte Werden
Unter
den sterbenden Flügeln vor?
Noch
einmal das Ersehnte,
Den
Rausch, der Rosen Du -,
Der
Sommer stand und lehnte
Und
sah den Schwalben zu,
Noch
einmal ein Vermuten,
Wo
längst Gewissheit wacht:
Die
Schwalben streifen die Fluten
Und
trinken Fahrt und Nacht.
Hilde
Domin (geb. 1912)
Herbstzeitlosen
(Veröffentlichung
1959)
Für uns, denen der Pfosten der Tür verbrannt ist,
an dem die Jahre der Kindheit
Zentimeter für Zentimeter
eingetragen waren.
Die wir keinen Baum
in unseren Garten pflanzten,
um den Stuhl
in seinen wachsenden Schatten zu stellen.
Die wir am Hügel niedersitzen,
als seien wir zu Hirten bestellt
der Wolkenschafe, die auf der blauen
Weide über den Ulmen dahinziehn.
Für uns, die stets unterwegs sind
- lebenslängliche Reise,
wie zwischen Planeten -
nach einem neuen Beginn.
Für uns
stehen die Herbstzeitlosen auf
in den braunen Wiesen des Sommers,
und der Wald füllt sich
mit Brombeeren und Hagebutten -
Damit wir in den Spiegel sehen
und es lernen,
unser Gesicht zu lesen,
in dem die Ankunft
sich langsam entblößt.
(Hilde
Domin: eigentlich Hilde Palm)
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